Wie schlimm kann es werden?

Durchschnittlich (genauer gesagt annualisiert) hat der MSCI World (in der EUR Net-Variante) in den letzten gut 20 Jahren etwas über 5% pro Jahr zugelegt.
Klingt gut, oder? Kein unseriöses Renditeversprechen, sondern eine solide Leistung. Trotz aller Krisen. Nach Abzug von Inflation und Steuern und dank des «Zinseszins-Effekts»* konnte damit ein Vermögen nicht nur erhalten, sondern sogar etwas gesteigert werden.

Doch in den wenigsten Kalenderjahren betrug die Rendite 5%. Sie schwankte wild zwischen -38% (2008) und +46% (1999). Folgende Grafik zeigt alle jährlichen Entwicklungen des MSCI World seit 1999 auf monatlicher Basis. Der Ausgangswert ist immer 100 Punkte.

Im schlechtesten Jahr 2008 ist der Wert auf 62 gefallen, was 38% Verlust entspricht. Im besten Jahr 1999 hingegen wurden aus den 100 Punkten derer 146 – ein Gewinn von 46%. Dazwischen gibt es allerlei verschiedene Jahresperformances. Auffällig ist, dass in sechs der 24 betrachteten Jahre ein Verlust zu verzeichnen war. Das aktuelle Jahr 2022 ist übrigens das fünftschlechteste im Feld (blaue Linie mit runden Markierungen, enthält nur die Monate bis einschliesslich August).

Sind langfristig Verluste ausgeschlossen?

Nun haben wir alle schon einmal gehört, dass Aktien und damit auch Aktienindizes etwas für die langfristige Geldanlage sind. Was aber bedeutet langfristig? Bin ich mit einem Anlagehorizont von drei Jahren schon vor Verlusten gefeit? Oder müssen es fünf oder gar zehn Jahre sein?

Verlängern wir zunächst den Betrachtungszeitraum von einem auf zwei Jahre. Jede Linie zeigt nun die Entwicklung des MSCI World über zwei Jahre, ausgehend von einem Startjahr. Es handelt sich also um überlappende Zeiträume (1999-2000, 2000-2001, 2001-2002 usw.).

Das Bild ist ähnlich: in fünf Zweijahres-Zeiträumen war die Rendite negativ. Und zwar durchaus heftig: ca. -40% gab es zweimal (2007-2008 und 2001-2002)! Wer ab 2009 über zwei Jahre investiert war, konnte sich hingegen über 50% Rendite freuen.

Verlängern wir den Betrachtungszeitraum auf drei, vier und fünf Jahre:

Immer noch ist die Rendite in ca. einem Viertel der Fälle negativ. Und zwar durchaus beträchtlich: im schlimmsten Fall betrug die Gesamtrendite über fünf Jahre -35%!

Also, verdoppeln wir den Zeitraum! Ein Anlagezeitraum von zehn Jahren müsste doch reichen, damit die Rendite ganz sicher positiv ist?

Nun, leider nicht: selbst jetzt sind wir in vier Fällen in negativem Terrain. -32% schlagen zu Buche, wenn wir Anfang 2000 investiert und zehn Jahre ausgeharrt haben. Die schlechtesten Startjahre sind 1999, 2000, 2001 und 2002.
Also, verlängern wir den Betrachtungszeitraum erneut.

Elf Jahre? Dreimal negativ:

Zwölf Jahre? Zweimal negativ (einmal nur knapp, einmal -20%):

13 Jahre? Nur noch der Zeitraum 2000-2012 negativ!

14 Jahre? Geschafft!

Jeder Zeitraum hat nun eine positive Nominalrendite erzielt (ausgenommen das bisherige Jahr 2022). Vollständige 14-Jahreszeiträume gibt es übrigens nur noch zehn Stück.

Das Gesamtbild können wir jetzt einmal auf uns wirken lassen. Ein gewisser Aufwärtstrend ist zweifellos erkennbar. Achte aber vor allem auf die Bandbreite möglicher Ergebnisse: ein Investor kann über 14 Jahre eine Rendite von insgesamt 10% erzielt haben (2000-2013). Aber auch fast 250% waren möglich, also deutlich mehr als eine Verdreifachung des Anlagekapitals (2008-2021). Viele Zeiträume sehen sogar noch besser aus (2009 bis heute: +415%). Diese enden alle im August des aktuellen Jahres (2022), umfassen also noch nicht die vollen 14 Jahre. Wer 2009 100000 EUR in den MSCI World investiert hat, hätte heute eine halbe Million. Wähle einen anderen Zeitraum und das Ergebnis sieht ganz anders aus. Trotz identischer Anlagestrategie.

Noch einmal: ein MSCI World-Investment konnte über ca. 14 Jahre 10% oder 400% einbringen. Nur abhängig vom Einstiegszeitpunkt!

Was bedeutet das nun alles?

Durststrecken können länger dauern als du vielleicht meinst. Die nächste Durststrecke könnte gerade beginnen. Die Märkte sind die letzten Jahre «überdurchschnittlich» gut gelaufen. Für die Zukunft bedeutet das rein gar nichts, vielleicht verändert sich dadurch einfach nur der Durchschnitt selbst. Aber denkbar ist auch, dass fünf, zehn oder fünfzehn magere Jahre folgen. Das sollte sich jeder Investor vor Augen halten. Wähle deinen Anlagehorizont und deine Aktienquote daher vielleicht lieber etwas weniger aggressiv. Eine Aktienquote von 80% ist viel! Bei einem Indexeinbruch von minus 50% hättest du dann zwar «nur» 40% Verlust, aber das ist immer noch ziemlich unangenehm.

Durchschnittliche Renditeangaben können sehr irreführend sein. Denn entscheidend für deinen finanziellen Erfolg ist nicht die durchschnittliche Rendite über Zeiträume, die für irgendwelche Analysen gewählt wurden. Sondern die durchschnittliche Rendite, die Du in Deinem eigenen Anlagezeitraum erzielst. Das beste was du machen kannst, ist diesen Anlagezeitraum möglichst früh in deinem Leben zu starten. Auf die Rendite hast du wenig Einfluss.

Für Sparplan-Anfänger ist eine Durststrecke ein Segen. Die ETF-Anteile, die du 2000-2013 zu günstigen Preisen ansammeln konntest, haben im nachfolgenden Jahrzehnt ordentlich Rendite gebracht. Das ist viel besser, als am Anfang der Sparphase hohe Renditen auf wenig investiertes Geld zu erzielen und in späteren Jahren Verluste zu erleiden! Auch wenn es psychologisch vielleicht schwierig ist, wenige Monate nach Beginn eines Sparplans schon «im Minus» zu sein («hätte ich doch noch ein paar Monate gewartet mit dem Einstieg!»). Aber gerade dieser Lerneffekt ist wichtig für dein Durchhaltevermögen.

So oder so – das in Aktien-ETFs investierte Geld solltest du auf ziemlich lange Sicht nicht in seiner Gesamtheit brauchen. Ich empfehle ja immer, die ETF-Anteile nach dem Kauf gar nicht mehr in Geld umzurechnen. Das Geld ist erst einmal weg, denn du hast damit Aktien gekauft (im ETF-Mantel). Der Depotwert wird erst wieder relevant, wenn du verkaufen willst oder musst. Dass dieser Wille (ich gerate in Panik, ich ändere meine Strategie) oder dieser Zwang (ich brauche dringend Geld) nicht im falschen Moment zum Verkauf führt, ist entscheidend für deinen langfristigen Erfolg.

Um auf den Titel zurückzukommen: es kann schlimm werden. Ein Jahrzehnt mit negativen Aktienrenditen ist nichts, das es nur in grauer Vorzeit gab. Vielleicht geht auch 2022-2032 als ein solches Jahrzehnt in die Finanzgeschichte ein. Falls du ein Sparplan-Anfänger bist, ist ein «schlimmes Jahrzehnt» allerdings eine gute Sache. Auch wenn es sich sicherlich nicht danach anfühlt.

* Ich mag den Begriff «Zinseszins» hier nicht, denn die Erträge von Aktien sind keine Zinsen. Trotzdem wird er in der deutschen Literatur auch in diesem Kontext verwendet.

3 Gedanken zu „Wie schlimm kann es werden?“

  1. Danke für den Artikel und die ganze Seite! Das war wie immer gut auf den Punkt gebracht!
    Ich finde solche Themen viel relevanter als irgendwelche Aktienbesprechungen etc.

    Am Ende zeigt es eben auch, dass man den Kontrollverlust in Bezug auf die Rendite in Kauf nehmen
    muss, um voll partizipieren zu können . Oder eben nicht kann, wenn die entsprechende Tragfähigkeit und Bereitschaft fehlt. Und es lässt vermuten, dass es wohl noch viel schlimmer kommen kann, wenn
    man schlechter diversifiziert ist als der MSCI World.

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  2. Hallo und guten Morgen
    Vielen Dank für die Recherche. Ist schon erstaunlich, dass man das Geld 14 Jahre arbeiten lassen muss.
    Ich vermute mal, dass bei einem ETF Sparplan der Cost Average Effekt etwas positiv wirkt.
    Aber es spielt auch keine Rolle, ob 13,14 oder auch 15 Jahre das Geld gebunden sein sollte.

    Danke für diese Website. Ich finde die klasse.

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  3. Thank you for this post explaining the importance of the long-term, these plots are very clear.
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    Vielen Dank.

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